Heidelberg, den 29.01.2015

Anfrage Nr.: 0006/2015/FZ
Anfragen von Stadtrat Niebel
Anfragedatum: 17.12.2014


Flüchtlinge

Schriftliche Fragen:

Der massive Zustrom von Flüchtlingen und Asylbewerbern nimmt auch in Baden- Württemberg immer dramatischere Ausmaße an. Die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung ist groß, sie stößt aber zunehmend an ihre Grenzen. Es müssen nicht nur die Bedürfnisse der Flüchtlinge, sondern auch jene der einheimischen Bevölkerung berücksichtigt werden. Die kommunalen Behörden müssen bei der Unterbringung der Flüchtlinge Recht und Gesetz einhalten. Bundesweit werden 75% aller gestellten Anträge auf Asyl bzw. Zuerkennung des Flüchtlingsstatus mit endgültiger Wirkung negativ beschieden. Rückführungen abgelehnter Asylbewerber in ihre Heimatländer finden in Baden-Württemberg derzeit so gut wie nicht statt, da laut Landesregierung keine geeigneten Abschiebeeinrichtungen zur Verfügung stehen. Der Verbleib ausreisepflichtiger Ausländer im Land verschärft dabei die Unterbringungsprobleme für neu ankommende Flüchtlinge und Asylbewerber in erheblichem Maße.

  • 1. Gibt es angesichts des Mangels an notwendigen Abschiebeeinrichtungen in Baden-Württemberg Überlegungen der Stadt Heidelberg, dem Land eine solche Einrichtung im Hinblick auf steigende Flüchtlingszahlen anzubieten?
  • 2. Falls nein: Warum wird die Stadt Heidelberg hier nicht tätig?
  • 3. Die Kosten der Unterbringung und Bauprojekte der zukünftigen Flüchtlingsunterkünfte gehen weiter in die Höhe. Land und Bund zahlen nur einen Zuschuss von 25 %. Wie hoch ist der 75% Anteil, den die Stadt Heidelberg zu tragen hat?
  • 4. In Heidelberg leben derzeit 550 Flüchtlinge. Wie hoch sind die Kosten der 318 Personen in der Duldung? Zeitraum 2011,2012,2013,2014.
  • 5. Wie hoch sind die Kosten der zurzeit in der Henkel-Teroson-Straße im Stadtteil Pfaffengrund lebenden 180 Flüchtlinge? Zeitraum 2011,2012,2013,2014.
  • 6. Wie hoch sind die Kosten der zurzeit in der Hardtstraße im Stadtteil Kirchheim lebenden 350 Flüchtlinge? Zeitraum 2011,2012,2013,2014.
  • 7. Wie splitten sich die 18 Millonen Euro Kosten für die 550 Flüchtlinge auf? Was zahlt das Land und was die Stadt?
  • 8. Wie weit sind die Verhandlungen der Stadt Heidelberg mit dem Regierungspräsidium hinsichtlich der Rückführungen von geduldeten Asylbewerbern aus den sicheren Herkunftsländern des Balkans vorangeschritten?
  • 9. Wer trägt die Kosten und Folgekosten für die Unterbringung der 2.000 Kontingentflüchtlinge in PHV?
  • 10. Wie lange verbleiben diese Personen dort?
  • 11. Die Wohnungen dort in PHV sind – ebenso wie in MTV – normalerweise mit Parkettböden und werthaltigen Einbauküchen ausgestattet; dazu, wie in den USA üblich, mit fest eingebauten, teils begehbaren Kleiderschränken. Wer kommt für die Schäden auf, die in solchen Massenunterkünften realistischer Weise zu erwarten sind?
  • 12. Wie erklären Sie wohnungssuchenden Menschen, dass es zurzeit keine bezahlbaren Wohnungen in Heidelberg gibt?
  • 13. Wie hoch ist/soll die Belegung der Konversionsflächen „ für alle Bevölkerungsschichten“ im Verhältnis zu den erwarteten Flüchtlingen sein?
  • 14. Warum betreibt die Stadt Heidelberg keine offensive Öffentlichkeitsarbeit und erklärt den Menschen was wirklich auf sie zukommt?
  • 15. Die Menschen fürchten sich nicht so sehr dass Flüchtlinge zu uns kommen, sondern weil sie nicht mitgenommen werden. Wie will die Stadt das ändern?
  • 16. Die Menschen verstehen nicht, warum hier von der großen Not der afrikanischen Flüchtlinge geredet wird, aber die Mehrheit der schon vor Jahren abgelehnten Asylbewerber weiter in Deutschland lebt. Wann handelt die Stadt?

 

Antwort:

1. Ausreisepflicht / Abschiebeeinrichtungen:
Über die Ausreisepflicht abgelehnter Asylbewerber entscheidet das Regierungspräsidium Karlsruhe aufgrund einer Landesregelung in eigener Zuständigkeit. Die Kommunen haben darauf keinen Einfluss.

Ob nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens weiterhin Duldungsgründe bestehen oder ob die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht im Wege der Abschiebung eingeleitet wird, wird ebenfalls vom Regierungspräsidium geprüft und entschieden. Demnach ergeben sich auch hier keine Verhandlungsoptionen für die Kommunen.

§ 61 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz gibt den Länder die Möglichkeit, Ausreiseeinrichtungen für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländerinnen und Ausländer zu schaffen.

Die Intension dieser am 01.01.2005 in Kraft getretenen Vorschrift war, Ausreisepflichtige in solchen Einrichtungen unterzubringen, um dort durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise zu fördern, die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte zu gewährleisten und die Durchführung der Ausreise zu sichern. Die baden-württembergische Landesregierung hat bisher keine Entscheidung getroffen, eine Ausreiseeinrichtung zu schaffen, so dass sich von Seiten der Kommunen kein Handlungsbedarf ergibt.

Ausreisepflichtige, die auf Grund einer richterlichen Anordnung in Abschiebungshaft nach § 62 Aufenthaltsgesetz untergebracht werden müssen, werden derzeit in Einzelfällen in Amtshilfe durch das Land Rheinland-Pfalz in der Gewahrsamseinrichtung Ingelheim untergebracht. Hierauf haben sich die Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verständigt. Die Schaffung geeigneter Gewahrsamseinrichtungen ist ebenfalls Ländersache.

 

2. Kosten

Die meisten deutschen Bundesländer erstatten die den Kommunen entstandenen Kosten für die Unterbringung eines Flüchtlings mittels einer Pauschale – so auch in Baden-Württemberg. Die Pauschale in BW lag im Jahr 2014 bei 12.566 Euro, im Jahr 2015 liegt sie bei 13.260 Euro. Sie umfasst sämtliche Ausgaben für Unterkunft, Verwaltung, soziale Beratung und Betreuung in der Unterkunft, anteilige Leistungs- und Krankenausgaben sowie Aufwendungen der Anschlussunterbringung. Nachdem die Auskömmlichkeit der Pauschalen von Stadt- und Landkreistag wiederholt kritisiert wurde, werden die Pauschalen aktuell überprüft, eine Anpassung ist geplant.

Daneben wurde ein ab 1.1.2015 geltendes Landesförderprogramm – Wohnraum für Flüchtlinge – ins Leben gerufen. Mit diesem Förderprogramm soll Wohnraum in der Anschlussunterbringung gefördert werden. Die Höhe der Förderung beträgt 25 % der Investitionskosten und wird aus Mitteln des Bundes getragen.

Die Ausgaben und Einnahmen für Flüchtlinge in der vorläufigen Unterbringung beliefen sich in den Jahren 2011 bis 2014 auf folgende Beträge:

 – Ausgaben Einnahmen
2011 1.535.000 € 877.000 €
2012 1.576.000 € 1.010.000 €
2013 2.426.000 € 1.886.000 €
2014 3.558.000 € 2.683.000 €

 

Zum 31.12.2014 standen außerdem 191 Personen mit Duldung im Hilfebezug beim Amt für Soziales und Senioren. Die Gesamtausgaben für diesen Personenkreis betrugen

2011: 850.000 €
2012: 666.000 €
2013: 695.000 €
2014: 911.000 €

 

3. Windernotquartier des Landes in Patrick-Henry-Village

Seit Mitte Dezember betreibt das Regierungspräsidium Karlsruhe in Patrick-Henry-Village ein zeitlich befristetes Winternotquartier (s. entsprechender Gemeinderatsbeschluss vom 13.11.2014). Die dort untergebrachten Flüchtlinge bleiben ca. 4-6 Wochen zur Erledigung der ersten Formalitäten (Aufnahme, Registrierung, Asylantragstellung, gesundheitlichen Versorgung) und werden anschließend auf die Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg verteilt. Das Gelände und die Wohnungen in PHV befinden sich noch im Eigentum des Bundes, die Kosten für die dortige Unterbringung trägt das Land. Dies gilt auch für eventuelle Schäden, die die Nutzer/ innen hinterlassen.

 

4. Öffentlichkeitsarbeit der Stadt

Die Stadt Heidelberg betreibt eine intensive und aktive Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Flüchtlinge. Im Zeitraum September bis Dezember 2014 hat die Stadt unter anderem mit folgenden Maßnahmen die Öffentlichkeit informiert:

  • 9 schriftliche Presseinformationen
  • 9 Berichte im Stadtblatt, unter anderem als große Aufmacher-Themen (Ausgaben 17.9.; 1.10.; 8.10.; 15.10.; 5.11.; 19.11.; 10.12.; 17.12.; 23.12.)
  • mehrfach Thematisierung bei Pressekonferenzen des Oberbürgermeisters
  • Information der Stadtteilvereinsvorsitzenden durch den Oberbürgermeister
  • ausführlich Gegenstand der Reden des Oberbürgermeisters zum Antritt seiner zweiten Amtszeit sowie in Interviews
  • Veröffentlichung der Presseinformationen und Stadtblatt-Berichte unter www.heidelberg.de
  • Einrichtung der Seite „Hilfe für Flüchtlinge“ auf heidelberg.de (später Direktlink: www.heidelberg.de/fluechtlingshilfe)
  • wiederholt Startseiten-Meldungen und Top-Thema auf www.heidelberg.de
  • Film zu Vorbereitungen Campbell Baracks im städtischen youtube-Kanal
  • Wiederholt Meldungen auf Facebook und Twitter

Die Kommunikation thematisiert nicht nur akut notwendige Maßnahmen, sondern auch die mittelfristigen Perspektiven, auf die sich die Stadtverwaltung gemeinsam mit vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern einstellt.

Die Stadtverwaltung wertet die große Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger in Heidelberg, das dauerhafte Engagement vieler Einrichtungen und die positive Medienresonanz als Zeichen, dass eine sehr breite Mehrheit der Bevölkerung keine Furcht vor Flüchtlingen hat, sondern im Gegenteil die vom Gemeinderat einstimmig bei zwei Enthaltungen beschlossene Aussage unterstützt: Heidelberg ist eine internationale und weltoffene Stadt. Das bedeutet, dass Heidelberg seinen Beitrag leistet im Rahmen der Flüchtlingshilfe. Die Stadt setzt sowohl in seiner Fach- wie Informationsarbeit alles daran, diese Situation der Toleranz und Hilfsbereitschaft zu unterstützen.

 

5. Sonstiges

Erklärtes Ziel der Verwaltung ist es, Flüchtlinge möglichst auf alle Stadtteile zu verteilen, sodass auf den Konversionsflächen keine Konzentration von Flüchtlingen geplant ist.

Der generellen Wohnungsproblematik in Heidelberg widmeten sich Stadtverwaltung, Gemeinderat und Wohnungswirtschaft ganz aktuell mit der Klausurtagung am 22.11.2014 zum Thema „Kommunale Wohnungsbaupolitik in Heidelberg“. Die Klausurtagung war dabei ein erster Schritt, den Heidelberger Wohnungsmarkt sozialer zu machen und Verdrängungsprozesse zu vermeiden, und hat dazu beigetragen, bei allen Beteiligten ein Verständnis über die inhaltliche Komplexität des Themenfelds der kommunalen Wohnungspolitik zu erzeugen. Die gemeinschaftlich getragene Diskussion soll fortgesetzt werden und in ein „Handlungsprogramm Wohnen“ münden.

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